Veranstaltung: | 40. LPT BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Ländliche Räume |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 16.06.2018, 11:47 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A-1NEU: Landleben braucht Lifestyle – Grüne Strategien für lebenswerte ländliche Räume | LEITANTRAG
Antragstext
In der aktuellen Politik herrscht immer noch eine idealisierte Sicht auf
ländliche Räume vor. Bei uns Grünen stehen vor allem Defizite und Probleme im
Fokus, wenn wir über ländliche Räume sprechen. Wie auch in anderen
gesellschaftlichen Bereichen ist genau das Beschriebene auch immer eine Frage
der Sichtweise.
Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen-Anhalt wollen in den nächsten Jahren
ein Politikangebot umsetzten, in dem es auch um eine Konzentration auf ländliche
Räume geht und eher die Stärken und Potenziale erkannt als Defizite bejammert
werden. Wir wollen Sichtbarkeit für die Belange von ländlichen Räumen erzeugen.
Unser bündnisgrünes Politikangebot will Antworten formulieren und Lösungen
umsetzten, die nicht nur akzeptiert werden, sondern vor allem auch den
tatsächlichen aktuellen Bedürfnissen und Prioritäten auf dem Land entsprechen.
Egal ob in städtischen oder ländlichen Räumen, ob in wachsenden oder
schrumpfenden Regionen: Menschen müssen die gleichen Chancen haben, an der
Gesellschaft teilzuhaben – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Wohnort und
ihrem Geldbeutel. Daher brauchen alle Menschen Zugang zu guter Bildung,
Qualifizierung und Arbeit, zu ärztlicher Versorgung, Pflege, Schulen und
Kinderbetreuung, digitalen Angeboten, zu Kultur- und Freizeitangeboten und auch
zu Einkaufsmöglichkeiten. Durch moderne Mobilitätsangebote, die Chancen von
Digitalisierung und Integration, aber auch durch Energie- und Agrarreformen
können ländliche Regionen so auch zukünftig lebenswert und attraktiv bleiben.
Dabei darf es nicht von der Region abhängen, wie ein Lebensweg verläuft.
Doch tatsächlich entwickeln sich die regionalen Lebensverhältnisse immer stärker
auseinander. Während es bundesweit um die großen Ballungszentren herum
prosperierende Gegenden gibt, haben andere, meist ländliche Regionen massiv mit
den Auswirkungen von Abwanderung und Alterung zu kämpfen. Das wirkt sich schon
heute spürbar auf das Leben und die Versorgung in strukturschwachen ländlichen
Regionen aus. Eine Landespolitik geprägt von falschen Analysen und
Lösungsangeboten in Sachsen-Anhalt verstärkt diese Negativspirale noch. In
Sachsen-Anhalt hängte die Sparpolitik der vorigen Landesregierungen ganze
Landesteile ab von Mobilität und moderner digitaler und sozialer Infrastruktur.
Eine zentralisierte Bildung zwingt Kindern auf dem Land überlange Schulwege auf.
Industrielle Landwirtschaft und industrielle Tierhaltung lassen die ländlichen
Räume veröden.
Wir Grüne setzen auf Investitionen in eine moderne Infrastruktur, mit dem Ziel
echter Chancengerechtigkeit in ländlichen Räumen. Wir wollen die Wertschöpfung
vor Ort stärken, indem wir umweltfreundliche Landwirtschaft, Mobilität und eine
nachhaltige Energieversorgung mit Naturschutz, Tourismus, Handwerk sowie kleinen
und mittleren Unternehmen zusammen denken. Wir erhalten die kleinen Schulen und
sorgen überall für gute Bildung von Anfang an und lebenslang! Weitere Kürzungen
an jeglicher sozialer Infrastruktur auf dem Land wollen wir verhindern.
Dabei kommt es uns darauf an, Politikangebote gemeinsam mit den Menschen vor Ort
zu entwickeln und zu gestalten. Wir machen uns dafür stark, dass die Menschen
zukünftig wieder mehr über ihre Belange mitentscheiden können. Das stärkt den
Gemeinsinn in der Kommune und den Zusammenhalt einer Region und begünstigt die
Akzeptanz eines demokratisch organisierten Gemeinwesens.
Für die nächsten Jahre bedeutet dies konkret:
Ländliche Räume brauchen eine angemessene finanzielle Ausstattung, um ihre
Aufgaben im Sinne der Bürger*innen bewältigen zu können. Hier ist der Bund
gefragt, dem Land und den Kommunen in Sachsen-Anhalt mehr finanziellen Spielraum
zu geben. 2019 laufen der Länderfinanzausgleich und ebenso der Solidarpakt Ost
aus. Hier sind bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen dringend Wege zu finden,
einen solidarischen Föderalismus zu gewährleisten, damit sich die Spaltung in
arme und reiche Regionen nicht vertieft.
Finanzzuweisungen erfolgen in erster Linie nach der Einwohnerzahl. In Sachsen-
Anhalt wird allen Prognosen folgend die Einwohnerzahl weiter sinken; besonders
betroffen sind hiervon die ländlichen Regionen. Die Infrastruktur wird aber
nicht linear weiter schrumpfen können. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen,
dass die Bundes- und Länderfinanzzuweisungen durch einen Flächenfaktor ergänzt
werden.
Wir wollen Chancengleichheit und gute Bildung für alle Kinder und Jugendliche &
Erwachsene unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder der Region, in
der sie aufwachsen. Gerade angesichts der demographischen Entwicklung und einer
zunehmenden sozialen Spaltung dürfen wir kein Talent zurücklassen.
Für die Wege zu Schule oder Kita wollen wir den Grundsatz „kurze Beine, kurze
Wege“ umsetzen. Statt Schulschließungen und viel zu langer Schulwege wollen wir
Schulen ermöglichen, kleinere Klassen einzurichten und die ganztägige Betreuung
auszuweiten. So können auch kleine ländliche Schulen erhalten bleiben.
Ob in der KiTa, im Hort oder Schule: es braucht qualifiziertes Personal. Wir
fordern eine Ausbildungsoffensive, um dem bestehenden Fachkräftemangel
entgegenwirken zu können. Die Ausbildung von Erzieher*innen muss kostenfrei
ermöglicht werden und Pädagog*innen müssen in ausreichender Zahl ausgebildet
werden. Qualifizierungsangebote für Quereinsteiger*innen wollen wir ausbauen.
Der ÖPNV ist gerade in ländlichen Räumen wichtiger Bestandteil der
Daseinsvorsorge, der nicht Sparzwängen geopfert werden darf. Wir kämpfen
dagegen, dass ganze Regionen verkehrstechnisch abgehängt werden und der
Schulverkehr das einzige Angebot im öffentlichen Nahverkehr bleibt.
Neben den klassischen Nahverkehrsangeboten von Bus und Bahn wollen wir flexible,
moderne und bedarfsgerechte Alternativen fördern – vom Anrufsammeltaxi über
Bürger*innenbusse bis hin zum Kombibus, in dem Fahrgäste und Güter transportiert
werden können. Privat oder im Verein organisierte Fahrdienste, Car-Sharing auf
der wachsenden Basis von Elektrofahrzeugen und Bike-Sharing wollen wir
unterstützen und das Radfahren auch in ländlichen Räumen leichter, bequemer und
sicherer machen. Wir sind der Überzeugung, dass es sich lohnt, in öffentliche
Verkehrsmittel zu investieren. Initiativen für einen fahrscheinlosen
steuerfinanzierten ÖPNV stehen wir offen gegenüber.
Grüne stärken die regionale Wirtschaft und Landwirtschaft. Damit junge, gut
qualifizierte Arbeitssuchende nicht abwandern und Unternehmen in der Region
genügend Fachkräfte finden, müssen die Arbeit und das Leben auf dem Land
attraktiv bleiben und werden.
Viele ländliche Regionen haben das Potenzial als „Garten der Metropolen“ nicht
nur Naherholung zu bieten, sondern durch Kunst und Handwerk oder
Direktvermarktung von Lebensmitteln ein vielfältiges wirtschaftliches Fundament
zu legen.
Strategische Zuwanderung für eine wirtschaftliche Zukunft des ländlichen Raumes
Die erwerbsfähige Bevölkerung Sachsen-Anhalts wird bis 2030 um rund 30% sinken.
Die Wachstumsraten Sachsen-Anhalts sind bereits jetzt im Vergleich zu anderen
Bundesländern wegen der demografischen Krise deutlich niedriger. Die ländlichen
Gebieten trifft diese demografische Krise noch viel stärker als die Großstädte.
Klar ist: Es braucht Menschen, die die ländlichen Räume mit Leben erfüllen.
Sachsen-Anhalt muss für Menschen attraktiv werden, die ihr Leben durch Arbeit
verbessern wollen. Rückkehrkampagnen sind nur wenig erfolgreich. Deswegen setzen
wir auch auf eine strategische Zuwanderung. Als zweiter Ansatzpunkt müssen wir
es schaffen, dass mehr deutsche wie internationale Studierende nach ihrem
Studium an einer Hochschule in Sachsen-Anhalt im Land Arbeit finden und bleiben.
Die Energie des Landes nutzen und zukünftig die Mitbestimmung vor Ort sowie
regionale Wertschöpfung stärken. Die Energiewende ist ein wichtiger Schritt zur
Sicherung des Energiebedarfes für die Zukunft. Insbesondere in den ländlichen
Räumen finden sich die notwendigen Ressourcen, Flächen und die Potenziale, um
Energieproduktion neu zu denken. Mit Biomasse, Windenergie und Photovoltaik
lässt sich schon heute in vielen ländlichen Regionen der Strom von morgen
klimafreundlich produzieren. Der Energiehunger insbesondere der Ballungszentren
wird aktuell größtenteils durch die ländlichen Räume gedeckt. Hier liegen
einerseits große Chancen für die ländlichen Räume, denn Erneuerbare Energien
stimulieren die regionale Wertschöpfung, schaffen zukunftsfähige Arbeitsplätze
und machen ländliche Kommunen unabhängig von Importen und Preissprüngen bei der
Energieversorgung. Andererseits braucht es dringend einen Prozess, um tragfähige
und vor Ort akzeptierte Energiegewinnungskonzepte zu entwickeln und die
Wertschöpfung in den Erzeugerregionen zu belassen. Energiegewinnung geht nur mit
den Menschen vor Ort und nicht gegen sie!
Wir Grüne machen uns stark für lebendige Ortskerne und gegen die Verödung von
Dörfern und Kleinstädten. Unser Ziel ist, dass Kinos, Theater, Sportvereine,
Bibliotheken, Seniorenangebote und Angebote von Jugend- und Sozialarbeit für
alle zugänglich und gut erreichbar sind. Durch eine stärkere Kooperation von
städtischen und ländlichen Räumen könnten v. a. im kulturellen Bereich die
Stärken des einen und die Schwächen des anderen zum Wohle aller genutzt und
kompensiert werden.
Um die Nahversorgung der Menschen mit regionalen Produkten zu sichern, wollen
wir Direktvermarktung, mobile oder Online-Angebote ausweiten. Wir wollen
Nachbarschaftshilfe, Bürgerwerkstätten sowie junge innovative Unternehmen als
Träger des aktuellen Strukturwandels unterstützen. Zielsetzung ist hierbei eine
lebendige Kommune der kurzen Wege.
Grüne Politik stärkt die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ländlichen
Räumen. Deswegen unterstützen wir alle Menschen, die sich friedlich für
Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen. Wir GRÜNE wollen
demokratisches Engagement und Vereinsarbeit sowie moderne Formen der
Bürgerbeteiligung besser fördern. Wir beziehen Position gegen Rassismus,
Antisemitismus und alle Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Genossenschaften können wesentlich dazu beitragen, die Bindung an und das
Engagement für ländliche Regionen zu stärken. Deshalb fordern wir eine stärkere
Unterstützung bestehender und neugegründeter Genossenschaften.
Um die digitale Kluft zwischen Stadt und ländlichen Regionen zu schließen,
müssen erhebliche Mittel für den Ausbau von schnellem Internet bereitgestellt
werden. Eine Breitbandverbindung auf der Höhe der Zeit gehört für uns zur
politischen Daseinsvorsorge. Neue Arbeitsmodelle wie Homeoffice, im Internet
abrufbare Verwaltungsdienstleistungen oder Telemedizin – die Digitalisierung
kann vielen Menschen die Fahrt oder gar die Abwanderung in die Stadt ersparen
und eine Arbeits- und damit eine Lebensperspektive in ländlichen Raumen
ermöglichen.
Beim Zugang zu Gesundheit können neue Modelle helfen, Versorgungslücken zu
schließen. Schrumpfende Dörfer und Kommunen sind gerade für alte und kranke
Menschen eine ernsthafte Gefahr, wenn dadurch der medizinische Schutz immer
weiter ausgedünnt wird. Es bedarf deshalb der richtigen finanziellen und
politischen Anreize, um auch weiterhin ärztliche Versorgung zu gewährleisten.
Eine wichtige Rolle spielen für uns alle Faktoren zu Gunsten von
Familienfreundlichkeit in ländlichen Räumen. Denn nur attraktive ländliche Räume
werden auch Orte bleiben, an denen sich Unternehmen, Ärzte und Familien gerne
niederlassen.
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