Veranstaltung: | 40. LPT BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt |
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Tagesordnungspunkt: | 14. Anträge |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 16.06.2018, 16:25 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A-5-Neu2: Jüdisches Erbe bewahren – Jüdische Gemeinden unterstützen – Antisemitismus bekämpfen
Antragstext
Jüdisches Erbe in Sachsen-Anhalt bewahren
Die jüdische Kultur hat in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt eine lange
Tradition. Im Jahr 2021 werden wir 1.700 Jahre Judentum im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland feiern. Diese 1.700 Jahre gemeinsamer Geschichte
verliefen jedoch nicht bruchlos.
Jüd*innen waren im Verlauf der Jahrhunderte häufig der Verfolgung ausgesetzt.
Antijudaistische Propaganda bis hin zu Pogromen haben das jüdische Leben immer
wieder in Frage gestellt. Das galt auch für große Vordenker*innen unserer Region
wie Martin Luther, dessen aggressiver Antijudaismus von seinem reformatorischen
Werk nicht getrennt werden kann.
Durch die Shoa sind europäische Jüd*innen und mit ihnen das jüdische Leben in
Deutschland vernichtet worden. Es ist daher in besonderem Maße erfreulich, dass
sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder Jüd*innen Sachsen-
Anhalt ihr Zuhause nennen. Bei uns als Nachfahren der Täter*innen, der
Wegschauenden und den Holocaust mit verschuldenden Bevölkerung herrscht ein
Bewusstsein darüber, dass jüdisches Gemeindeleben in Sachsen-Anhalt keine
Selbstverständlichkeit ist.
Es ist erfreulich, dass die jüdische Kultur und Religion nach den Schrecken der
antijudaistischen Hetze der Vergangenheit in Sachsen-Anhalt heute wieder
vertreten ist und offen gelebt wird. Zugang zu jüdischer Kunst, Kultur und
Tradition bieten bspw. die „Tage der jüdischen Kultur und Geschichte“ in
Magdeburg oder die „Jüdischen Kulturtage“ in Halle. Verschiedene
Veranstaltungsformate bringen dabei Besonderheiten des jüdischen Kulturguts
näher und ermöglichen den Dialog. Das Interesse und die Partizipation der
Bevölkerung an diesen Veranstaltungen sind groß und unbedingt unterstützenswert.
Es ist zudem hervorzuheben, dass die Stadt Halle in vergangenen Jahrhunderten
stark von der jüdischen Kultur beeinflusst wurde. Davon zeugt bspw. die Nähe der
jiddischen Sprache zum halleschen Dialekt. Zudem ist die u.A. in Halle wurzelnde
Band „Simkhat Hanefesh“, die alte jiddische Lieder wieder zum Leben erweckt,
sehr erfolgreich.
Auch das kulturhistorische Museum Synagoge Gröbzig ist weit über die Grenzen
Sachsen-Anhalts hinaus bekannt und deutschland- und europaweit einmalig. In der
Synagoge, dem Gemeindehaus, der Schule und dem Friedhof wird sich mit dem
jüdischen Erbe befasst. Dabei bietet dieser Ort die einzigartige Möglichkeit des
atmosphärischen Eintauchens in die jüdische Kulturgeschichte des Landes.
Das Ziel die kulturelle Vielfalt, insbesondere auch das jüdische Kulturgut, in
Sachsen-Anhalt zu schützen und in seiner Entwicklung zu unterstützen ist ein
wichtiges gesellschaftliches Anliegen. Dieses gründet insbesondere auch auf
unserer historischen Verantwortung nach den Schrecken der Shoa. BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN Sachsen-Anhalt fordern die Landesregierung aus diesem Grund dazu auf,
Initiativen zu fördern, die die jüdische Kultur in Bereichen wie Religion,
Sprache, Theater, Musik und Geschichte bewahren und die Weltoffenheit unserer
Gesellschaft sicherstellen und erweitern.
Erinnerungskultur fortentwickeln
Im Schulunterricht spielt das Judentum eine geringe Rolle. Zwar werden
Grundkenntnisse der Religion im Religions- und Ethikunterricht vermittelt und im
Geschichtsunterricht wird das Judentum erwähnt, jedoch konzentriert sich die
schulische Wissensvermittlung fast ausschließlich auf die Shoa. Das jüdische
Leben vor und nach dem Kulturbruch der Shoa bleibt weitestgehend unerwähnt,
obwohl es ein Teil unserer Geschichte ist.
Die Erinnerungskultur wird heute durch Gedenkstätten und Zeitzeug*innengespräche
geprägt, welche wertvolle Arbeit leisten. Doch mit der Zeit werden
Zeitzeug*innen immer weniger, weshalb sich die Art der Erinnerungskultur
verändern muss. Es müssen Konzepte entwickelt werden, wie wir nachkommenden
Generationen die dunkelste Zeit deutscher Geschichte vermitteln, wenn keiner
mehr da ist, der diesen Schrecken selbst miterlebt hat. Ein möglicher Weg, den
Schrecken zu erfassen, ist es, durch die Vermittlung der jüdischen Kultur zu
erleben, welcher bedeutender Teil der Kultur vernichtet wurde. Durch die Kultur
wird der emotionale Zugang zu dem Thema möglich, den es braucht, damit sich die
Geschichte nicht wiederholt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt fordern die Landesregierung dazu auf,
gemeinsam mit wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen der
jüdischen Community ein Konzept zur schulischen und außerschulischen Vermittlung
jüdischer Kultur zu entwerfen. Wir sehen dabei die Dialog- und Begegnungsarbeit
im jüdisch-muslimischen Kontext, die Kooperationen zwischen jüdischen und
nichtjüdischen Bildungsträgern und den Ausbau an Angeboten von Fort- und
Weiterbildungen insbesondere für Lehrer*innen, Polizist*innen,
Jugendarbeiter*innen, Verwaltungsmitarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen an
Hochschulen und in den Medien im Bereich Antisemitismus als zentrale Punkte.
Antisemitismus erfassen und bekämpfen
Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Er besteht in allen
gesellschaftlichen Bereichen, wie uns die Übergriffe auf Jüd*innen in den
vergangenen Monaten und Jahren verdeutlichen. Der Anstieg antisemitischer Gewalt
in Deutschland bereitet uns große Sorge.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt stellen sich entschieden gegen
antisemitisches Denken und Handeln. Wir zeigen uns solidarisch mit Opfern
antisemitischer Gewalt.
Um die Antisemitismusprävention voranzutreiben, setzen wir uns für die
Mitbestimmung von Jüd*innen bei der Definition und Erfassung von Antisemitismus
ein. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, Jüd*innen, Wissenschaftler*innen
der Judaistik und jüdische Institutionen in politische Verhandlungen und
zivilgesellschaftliche Gremien, die sich für Demokratieförderung einsetzen und
Rassismus und Antisemitismus bekämpfen, mit einzubeziehen.
Zur besseren Dokumentation der Situation antisemitischer Straf- und Gewalttaten
in Sachsen-Anhalt fordern wir die Landesregierung dazu auf, den
Verfassungsschutzbericht um ein Kapitel zum Antisemitismus und seinen
Erscheinungsformen in allen Phänomenbereichen zu erweitern.
Jiddische Sprache als Minderheitensprache anerkennen
Der Schlüssel zur jüdischen Kultur und Geschichte in Deutschland ist die
jiddische Sprache; eine Sprache, die eng mit dem Deutschen verwandt ist. Sie ist
zudem der Schlüssel zur jüdischen Kultur in unseren osteuropäischen
Nachbarländern. So bietet sich hier die Möglichkeit zu einem engeren
Zusammenwachsen der Mitgliedsstaaten der EU durch das gemeinsame jüdische Erbe.
Bedeutendes Kulturerbe in ganz Europa ist in jiddischer Sprache verfasst, so zum
Beispiel die erste Autobiografie einer Frau in Deutschland und eine Vielzahl
historischer Akten. Kultur und Sprache sind in der jüdischen Kultur stark
miteinander verbunden. Jiddischsprachiges Kulturgut und auch die Sprache selbst
sind wichtiger Bestandteil unserer Kulturgeschichte. Wir haben die historische
Verantwortung diese zu bewahren.
Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, welche 1999 in
Deutschland in Kraft trat, nennt auch das Jiddische als europäische
Minderheitensprache. Anerkannt ist Jiddisch in folgenden EU-Staaten: Bosnien und
Herzegowina, Niederlande, Polen, Rumänien und Schweden. Auffällig sind dabei die
Situationen der Niederlande und Schwedens. Diese Staaten haben Jiddisch als
Minderheitensprache anerkannt, nicht weil sie über die dafür notwendige
jiddischsprachige Bevölkerung verfügen würden, sondern weil sie in diesem
besonderen Fall sich ihrer historischen Verantwortung stellen. Im Gedenken an
die Millionen Menschen, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind, als Zeichen
gegen Antisemitismus und für Vielfalt und um Verantwortung für die eigene
Geschichte zu übernehmen sollte die Bundesrepublik für diesen gesonderten Fall
Jiddisch als geschützte Minderheitensprache anerkennen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt unterstützen Bestrebungen, Jiddisch als
Zeichen des Respekts auch in Deutschland als anerkannte Minderheitensprache
anzuerkennen.
Jüdische Gemeinden unterstützen
In Verantwortung vor der deutschen Geschichte, die durch die Verfolgung und
Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft mitgeprägt
ist; in Kenntnis der Maßnahmen offener oder verdeckter Gewalt in der Zeit
kommunistischer Gewaltherrschaft; in dem Bewusstsein des großen Verlustes, den
das Land Sachsen-Anhalt durch die Vernichtung jüdischen Lebens und jüdischer
Kultur erlitten hat sowie in dem Wunsch, der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-
Anhalt den Wiederaufbau eines Gemeindelebens zu erleichtern; haben die Jüdische
Gemeinschaft und das Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt einen Staatsvertrag
geschlossen.
Innerhalb des Staatsvertrags garantiert das Land Sachsen-Anhalt die
uneingeschränkte Freiheit des jüdischen Glaubens und gewährt der
Religionsausübung den gesetzlichen Schutz. Die Jüdischen Kultusgemeinden im Land
und der Landesverband ordnen und verwalten entsprechend der jüdischen
Traditionen und Gesetze innerhalb der für alle Bürger*innen des Landes geltenden
gesetzlichen Rahmens, ihre Angelegenheiten selbstständig.
Während der Novemberpogrome des Jahres 1938 wurde in der ehemaligen Großen
Schulstraße in Magdeburg die Synagoge der damaligen jüdischen Gemeinde zerstört.
Seit vielen Jahren bemühen sich die Rechtsnachfolger, die Synagogengemeinde
Magdeburg K.d.ö.R sowie der Förderverein „Neue Synagoge Magdeburg“ e.V. um einen
Synagogenneubau, der für die bestehende Gemeinde eine Ausübung der religiösen
Rituale und Traditionen erlaubt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt bekennen sich dazu, dieses Vorhaben zu
unterstützen und durch den Neubau einer Synagoge in der Landeshauptstadt
Magdeburg dafür Sorge zu tragen, sowohl orthodoxen als auch reformjüdischen
Jüd*innen einen geschützten Ort für ihre individuellen religiösen Praxen zu
geben.
Auch in Dessau soll jüdisches Leben wieder erstehen können und einen würdigen
Ort erhalten. Die Jüdische Gemeinde zu Dessau K.d.ö.R. hat im Jahr 2015 von der
Kurt-Weill- Gesellschaft e.V. einen Synagogen-Entwurf gestiftet bekommen, dessen
verkleinerte Überarbeitung zur Realisierung vorgesehen ist. BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN Sachsen-Anhalt begrüßen die Aktivitäten zur Wiedereinrichtung einer
Synagoge in Dessau-Roßlau und werden diese positiv begleiten.
Die Museumssynagoge Gröbzig sehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt als einen
wichtigen und authentischen Ort jüdischen Lebens in Sachen-Anhalt, der Zugang
und Einsicht in die jüdischen Traditionen, kulturellen Praxen und den jüdischen
Glauben gibt. Die Bespielung des einzigartigen Ortes mit unterschiedlichen
Formaten und Ausstellungsgegenständen, die Menschen unterschiedlichen Alters,
Nationalität und Bildungsstands vielfältige Einblicke in das Leben und eine
Auseinandersetzung mit der Geschichte von Jüd*innen in Sachsen-Anhalt
ermöglichen, erachten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt für essentiell.
Die Fortführung und Weiterentwicklung der Museumssynagoge in Gröbzig, auch unter
der Prämisse eines regen Austauschs zwischen allen Jüdischen Vertretungen im
Land, sehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt in diesem Zusammenhang als
wichtig. Ebenso erachten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt eine
professionelle fachliche Leitung der Museumssynagoge Gröbzig, welche über die
Vernetzung Jüdischer Vertretungen innerhalb des Landes hinaus auch bundesweites
und internationales Interesse und Engagement zeigt, für eine positive
Entwicklung des kulturhistorischen Museums als wesentlich.
Begründung
erfolgt mündlich
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